Marcel Reif (67) ist ein Schweizer Fernsehjournalist und Sportkommentator. Im Gespräch mit dem Fußball-Experten konnten wir interessante Informationen über die Arbeit als Kommentator, die denkwürdige Champions League-Nacht in Madrid, seine Meinung zu Hooligans, sein persönliches Vorbild, sein Leben in Tel Aviv und seine unnachahmliche Arbeit als Kommentator herausfinden.
- Herr Reif, wie geht es Ihnen?
„In welcher Beziehung? Als Mensch, als Journalist, als Vater, wie hätten Sie es gerne?“
Wie Sie möchten.
„Mir geht es gut, hervorragend. Ich genieße die Zeit, nicht in jedes Stadion zu müssen, sondern von der Empore eine EM anschauen zu können.“
- Nach Ihrem Abitur in Heidelberg, begannen Sie Ihr Studium der Publizistik, Politikwissenschaft und Amerikanistik, welches Sie ohne Abschluss beendeten.
Was war Ihr erster Berufswunsch und ab wann war Ihnen klar, dass Sie später einmal als Kommentator arbeiten möchten?
„Mein erster Berufswunsch war Journalist, also wir reden dann schon von konkreten Wünschen, also nicht Astronaut, Kapitän oder sonst etwas. Ich wollte Journalist werden, aber politischer Journalist. Bin es auch geworden, habe 12 Jahre in der Politik gearbeitet und bin dann, weil sich manche Wege nicht so ergeben haben, wie ich sie mir vorgestellt habe, in den Sport gewechselt.“
- Beim CL-Spiel Real Madrid gegen Borussia Dortmund fiel das erste Tor ja relativ schnell. Zitat: „Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan wie heute“. Sie wurden 1998 für diese Moderation mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Schildern Sie den Abend doch mal aus Ihrer Sicht.
„Das ist aber eine stundenlange Geschichte. Also es ergab sich, dass das Tor umfiel, mir fiel nicht besonders viel Interessantes ein, weil ich mich eigentlich auf das Spiel vorbereitet hatte, wollte das Spiel kommentieren und mir wurde dann relativ zügig klar, dass das Spiel so nicht stattfinden kann. Da hat sich Günther Jauch eingeschaltet und dann haben wir eineinhalb Stunden lang zusammen Quatsch gemacht. Also in etwa, so 76 Minuten, einfach nur Realsatire, die sich da abspielte, kommentiert und offensichtlich hat das den Menschen vor dem Fernseher sehr gut gefallen.“
- Und sind Sie mit Günther Jauch privat befreundet?
„Seit 30 Jahren ja. Daher hat das die Sache auch sehr erleichtert.“
- Ihr Vater, ein polnischer Jude, wurde von Berthold Beitz vor den Nazis gerettet. Hatten Sie die Möglichkeit ihn einmal persönlich zu treffen?
„Ja. Ich habe ihm einen Brief geschrieben und wurde daraufhin eingeladen bei einer Ordensverleihung. Er bekam einen Orden und dann durfte ich ihn kennenlernen und das war ein sehr bewegender Augenblick.“
- Sie verbrachten Ihre Jugend in Tel Aviv. Wie war das Leben aus ihrer Sicht dort?
„Naja, die Jugend ist das nicht. Ich habe eineinhalb Jahre in Tel Aviv gelebt, als kleiner Junge. Das war sehr anstrengend, weil es war exotisch, es war spannend, aber es war eine völlig andere Welt und ich konnte die Sprache nicht, insofern war das für ein Kind sehr traumatisierend. Ich musste damals in ein Internat, in dem ich die Sprache auch nicht sprach, also es war ziemlich traumatisierend, eine aufregende Zeit, aber damit habe ich meinen Frieden.“
- Sie haben erst mit 8 Jahren angefangen Deutsch zu sprechen. Kam zu diesem Zeitpunkt für Sie in Frage mit der deutschen Sprache zu arbeiten?
„Nein, mit 8 Jahren… dass das spätere Folgen hatte, dass ich Deutsch als Fremdsprache gelernt habe, will ich ja nicht ausschließen. Also ich habe gemerkt, dass mir Sprachen wichtig sind und dass ich Spaß habe an Sprachen. Das mag später den Berufswunsch Journalist befördert haben, dass man doch die Lust hat sich auszudrücken, wenn man das Gefühl hat, jetzt beherrsche ich die Sprache. Aber in der Kindheit war es alles andere als das.“
- Als Jugendlicher spielten Sie für den 1. FC Kaiserslautern. Warum hat es nicht zum Profi gereicht?
„Weil ich zwar Talent hatte, aber eben kein Durchsetzungsvermögen. Mir fehlten einfach deutsche Gene, so Kampf und Durchsetzungsvermögen. Wenn’s gut lief war ich da und wenn nicht, war ich nicht da und das war zu wenig für einen Profi.“
- Wer ist Ihr persönliches Vorbild (privat und sportlich)?
„Vorbild… mein Vater war mir immer ein Vorbild. Den Krieg überleben und dann trotzdem eine Familie durchs Leben führen, das ist mir immer ein Vorbild gewesen. Und beruflich hatte ich Leute an denen ich mich orientiert habe, aber das waren keine echten Vorbilder, denen ich nacheifern wollte.“
- Was halten Sie von der BILD Zeitung?
„Boulevard ist eine der höchsten Kunstformen des Journalismus, dabei bleibe ich. Bestimmte Mechanismen passen mir nicht, die bediene ich nicht, denen verweigere ich mich, diese stören mich. Andere Dinge finde ich wahnsinnig gut. Sie sind ein Medium und man muss als Journalist wissen, wie man mit Medien umgeht, wenn man denkt, man könne sie auf seine Seite ziehen, macht man einen großen Fehler.“
- In einem Spiel schrien sie einmal einen betrunkenen Fan an, er würde zu viel saufen. Hatten Sie damals Ärger mit Ihrem Arbeitgeber?
„Nein, hatte ich nicht. Ich habe ihn nicht angeschrien und das war auch kein Fan, sondern ein besoffener Mensch, der mich anpöbelte, während ich auf dem Sender etwas zu sagen hatte. Der stand fünf Meter hinter mir und pöbelte die ganze Zeit „Reif, du Arschloch!“. Und daraufhin habe ich zurückgerufen „du säufst zu viel!“, ich kann daran nichts finden, was meinen Arbeitgeber oder Auftraggeber hätte veranlassen können, mir Ärger zu bereiten.“
Es war zumindest auch für die Zuschauer relativ unterhaltsam. Aber haben Sie bemerkt, dass das Mikrofon zu dem Zeitpunkt noch an war?
„Nee, möglicherweise habe ich das vergessen – es war zumindest so spontan, weil es mich bei der Arbeit belästigt hat und zwar ganz massiv. Ich habe versucht einen On-Auftritt zu bestreiten und hinter mir pöbelt da jemand die ganze Zeit „du Arschloch!“ und das ist dann irgendwann etwas mühsam und möglicherweise habe ich da vergessen, dass das Mikro an war.
- Im Gespräch über Hooligans platze Ihnen kürzlich der Kragen. Die Worte: „diese perversen Idioten“ soll gefallen sein. Wie sehen Sie die Entwicklung auf den Rängen und außerhalb des Stadions?
„Muss man sehr differenziert sehen. Ultras, Fans, sind eine Gruppierung, die dürfen alles, die dürfen schimpfen, pfeifen, die dürfen auch mal beleidigen – das ist in der Natur der Sache. Ultras gehen manchmal an die Grenze, also Pyrotechnik zum Beispiel finde ich gesundheitsgefährdend, insofern gibt es da sicherlich Grenzen, an die die gehen. Hooligans haben mit Fußball nichts zu tun, die dürften niemals ins Stadion, schaffen es trotzdem rein, benutzen das dann als Bühne und wenn sie nicht reinkommen, dann randalieren sie auf der Straße. Das sind Kriminelle, die auch wie solche behandelt werden sollten, nicht mehr und nicht weniger.“
- Sie haben ja auch teilweise schon Morddrohungen bekommen, von entsprechenden Hooligans, die mit der Art und Weise, wie sie kommentieren, nicht zufrieden waren. Wie ist das für Sie? Wie fühlt man sich da?
„Naja, wenn es bedrohlich wird. Wobei, das waren keine Hooligans. Hooligans sind sich selber genug, die haben mit mir nichts zu tun, die können nicht hören was ich sage, weil denen ist das Kommentieren und Fußball Wurst. Nein, das waren dann schon eher etwas fehlgeleitete Fans, die über eine Grenze gegangen sind, es gibt eine Grenze, die können mich beschimpfen und mich schlecht finden, aber es gibt die Grenze einer psychischen und physischen Bedrohung und die kann es nicht geben, in einer zivilisierten Gesellschaft. Das fand ich weit über mein Spektrum hinausgehend und da auch andere das ähnlich sahen, konnte ich damit meinen Frieden machen, zumal andere aus der Gruppierung auch deutlich gemacht haben, dass sie das selber auch nicht gut fanden.“
- Sehen Sie andere Kommentatoren als Konkurrenten?
„Nein, Jeder macht seinen Job. Ich machte meinen. Sicher wollte ich der Beste sein, aber ich habe nicht einzelne geguckt und gesagt, den muss ich jetzt ausstechen. Ich musste es zum Glück auch nicht, ich musste meine Ellenbogen eigentlich nie benutzen.“
- Sind Sie privat mit Béla Réthy befreundet?
„Bis heute, ja. Wir waren jahrelang in einer Redaktion, er war lange mein Assistent und wir sind seit jungen Jahren befreundet.“
- Was war bisher das spannendste Spiel, das Sie kommentiert haben?
„So ein Ranking habe ich mir sehr früh abgewöhnt. Ich habe immer gesagt, am nächsten Samstag kommt das spannendste Spiel. Entscheidend war der Antrieb – jedes Spiel hat ja seine spannenden Momente. Es gab großartige, es gab sportlich dramatische Spiele. Aber es gab auch langweilige Spiele, aber selbst die haben mir was gebracht.“
- Sie sind für Ihre humoristischen Äußerungen bekannt. Sie haben einmal gesagt, jeder der das Spiel atemberaubend findet, der müsse es an den Bronchien haben. Machen Sie sich davor Notizen, oder passiert das spontan?
„Wie sollte das gehen? Ich weiß ja nicht davor, wie das Spiel wird. Ich kann ja nicht einen Zettelkasten mitnehmen. Das habe ich nie gemacht und würde das auch niemandem raten.“
- Wer wird Europameister?
„Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien oder Kroatien.“
- Ihr Tipp für angehende Journalisten?
„An der Sprache arbeiten und Fachkenntnissen erarbeiten, das sind die zwei wichtigsten Punkte. Man muss wissen, warum man als Journalist arbeiten will, sein Handwerk lernen und entsprechend ausbilden. Sprache, Schreiben, je nachdem was es eben braucht, je nach Medien.“
„Ich dachte, wir wären dieses Pack los.“
Marcel Reif über die Krawalltouristen, die rund um und in den Stadien für Chaos sorgen.
Vielen Dank für das Gespräch und alles erdenklich Gute für Ihre private und berufliche Zukunft!